...herrlich ist dies Stückchen Erde, und ich bin ja dort daheim!


Wolf und Lamm (Burg Kynast)

17.03.2014 09:14

Zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges war Hans Ulrich von Schaffgotsch, General in kaiserlichen Diensten, Burgherr auf dem Kynast, ein ehrenwerter und untadeliger Mann und getreuer Untertan seines Herrn, des deutschen Kaisers. Daran störte auch nicht, daß der von Schaffgotsch überzeugter Protestant blieb.

Im Jahre 1633 veranstaltete der Burgherr ein Festgelage. Er lud dazu auch den evangelischen Prediger Johann Andreas Thieme aus Obergiersdorf ein. Dieser stand in dem Ruf, nach der Konstellation der Gestirne jedem Menschen sein Schicksal vorauszusagen. Der erdverbundene Burgherr glaubte solche Possen nicht und verlangte ungestüm, sein eigenes Schicksal zu erfahren. Thieme nahm seine Berechnungen vor, weigerte sich aber hartnäckig, sein Resultat mitzuteilen. Erst der scharfe Spott des Burgherrn löste ihm schließlich die Zunge: "Nach der Stellung des Saturns und Mars bei Eurer Geburt werdet ihr als Gefangener durch kalten Stahl sterben!"

Die Gäste erschraken. Schaffgotsch lachte. Um die schlimme Weissagung des Geistlichen zu verspotten, wies er ihm ein säugendes Lamm, das im Burggarten weidete, und erklärte, wenn Thieme auch dessen Ende voraussagen könne, wolle er an seine Prophezeiung glauben. Der Pfarrer behauptete nach neuelichen Berechnungen, das unschuldige Lamm würde vom Wolf gefressen werden. Nach diesem Ausspruch fanden auch die entsetzten Gäste ihre verlorene Heiterkeit wieder; denn in den weiten Wäldern um den Kynast waren zu jenen Zeiten die Wölfe längst verschwunden. Dem Küchenmeister aber befahl der Graf heimlich, das Lamm unverzüglich zu schlachten und morgen als Mittagsmahl aufzutragen.

Zeitig am anderen Morgen begab sich die gesamte Festgesellschaft auf die Jagd und kehrte zu mittag ermüdet und hungrig zurück. Ein Gang köstlicher Speisen nach dem anderen wurde aufgetischt, ohne daß der ersehnte Lammbraten erschien. Schließlich kam der Küchner mit ängstlicher Gebärde und berichtete verstört und stotternd, daß das Lamm - schon am Bratspieße steckend - von dem zahmen Wolf aufgefressen worden sei, den sich der Burgherr auf dem Kynast hielt.

Alle Gäste verstummten bei dieser unerwarteten Kunde. Der Freiherr selber erbleichte und legte zitternd sein Messer auf den Tisch. Doch sprach er gefaßt: Des Herrn Wille geschehe!

Die Prophezeiung des Giersdorfer Pfarrers ging am 23.Juli 1634 in Erfüllung: Hans Ulrich von Schaffgotsch wurde auf seines Kaisers Befehl zu Regensburg öffentlich enthauptet. Erst später, zu spät für den edlen Gefolgsmann des Kaisers, erwies sich dessen Unschuld.

 

(entnommen aus "Die schönsten Sagen aus Schlesien - Neu erzählt für jung und alt von Jochen Hoffbauer", 1965, 2.Auflage)

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