...herrlich ist dies Stückchen Erde, und ich bin ja dort daheim!


"Wir fühlen uns angespornt unser Wissen über's deutsch-schlesische Land weiterzureichen." (1960, Wilhelm Meridies)

08.04.2014 19:12

Auf unseren Schulwandkarten sahen wir Schlesien, dieses deutsche Stück Land beidseitig der Oder zwischen dem "Freistaat Sachsen", der "Mark Brandenburg", "Polen" und der "Tschechoslowakei" in seinem Umriss wie ein Eichenblatt geformt und durch sein Gewässernetz auch ihm vergleichbar geädert vor uns hängen und nahmen, was wir aus dem Munde der Lehrer in Geographie- und Geschichtsstunden darüber zu hören bekamen, mehr als bloßen Lernstoff als mit dem Herzen beteiligt in uns auf. Heute, da dieses schöne Land hinter dem Vorhang liegt, den man den "eisernen" zu nennen pflegt, und es der Welt von der slawischen Propaganda als "urpolnischer" Lebens- und Kulturraum hingestellt wird, fühlen wir uns als Deutsche wie als Schlesier im Innersten verletzt und angespornt, unser Wissen um dieses deutsch-schlesische Land zu erneuern, zu vertiefen und weiterzureichen.

Schon in der Jungsteinzeit (4000 bis 2000 v.Chr.) wurde Schlesien, wie wir aus vorgeschichtlichen Funden ablesen können, von ur-indogermanischen Völkerstämmen besiedelt. In der Bronze- und Eisenzeit (etwa 1300 bis 500 v.Chr.) drangen vom Südosten, vom östlichen Mittelmeerraum über die Donauländer nordwärts ackerbauende Völker illyrischen Ursprungs in den heutigen schlesischen Raum und siedelten in dem Lößgebiet Süd-Oberschlesiens und in dem Schwarzerdegebiet südlich Breslau, vor allem rund um den Zobten. Als um die Mitte des ersten vorgeschichtlichen Jahrtausends von Norden her germanische Völkerstämme - Bastarnen und Skiren - eindrangen, entstand hier vorübergehend eine frühgermanisch-illyrische Mischkultur. Als die Illyrer Altschlesien verließen, besetzten nordgermanische Wandalen nach und nach das Land von Frankfurt a.d.O. durch Schlesien bis hinauf zur Mährischen Pforte. Ein Teil dieses wandalischen Stammes waren die von Nordjütland her eingewanderten Silingen - sie gaben dem Wahrzeiches des Landes, dem Berge Zobten, den Namen Siling. Der Name des Berges wurde zum Namen ihres Gaues und zuletzt zu dem des ganzen Landes. Der altrömische Schriftsteller Tacitus berichtet in seiner "Germania" von einem wandalischen Heiligtum auf dem Gipfel des Siling (Zobten). Über ein halb Jahrhundert (bis um 400 n.Chr.) lebten die Wandalen in Schlesien. Fein granulierte, soldene und silberne Anhänger, Rollenfibeln und weitere Schmuckstücke, die in Fürstengräbern (in Sacrau bei Hundsfeld) gefunden wurden, zeugen für den hohen Kulturstand dieses wehrtüchtigen germanischen Bauernvolkes.

Als die Hauptmenge der Wandalen im Zuge der Völkerwanderung aus dem schlesischen Raum - in den schon in der Wandalenzeit eine Gruppe ostgermanischer Burgunder für ein Jahrhundert eingedrungen war - nach Westen abzog, begannen vom Osten her slawische Stämme einzusickern. Sie nisteten sich um 700 n.Chr. für ein halb Jahrtausend in Schlesien ein.

Dadurch geriet Schlesien in das Kraftfeld der Politik Böhmens und Polens, die miteinander um die Herrschaft über den schlesischen Raum kämpften. Aber als Kaiser Friedrich Barbarossa im Jahre 1157 durch einen machtvollen Vorstoß bis über die Oder in die wirren Auseinandersetzungen unter den schlesischen Piastenherzögen eingriff, begann - im Rückfluß gegen die vorherige Völkerwanderung - die große Wende der schlesischen Geschichte: die Rücksiedlung der Deutschen. Unter dem Piastenherzog Heinrich I. (1201 bis 1238), dessen Mutter und Großmutter Deutsche sind, dessen Vater schon halb aus deutschem Blut stammt und dessen Gemahlin, die heilige Hedwig, eine Tochter des deutschen Grafen von Andechs in Bayern ist, strömen nun die von ihm gerufenen Franken, Thüringer, Westfalen und Flamen als Ansiedler ins schlesische Land, in welchem bald blühende deutsche Dörfer, Städte und Klöster entstehen.

Der verheerende Mongoleneinfall, von dem das Deutsche Reich, ja das ganze Abendland mit Hilfe der wehrhaften Bevölkerung Schlesiens und deutscher Ordensritter durch die entscheidende Schlacht bei Liegnitz 1241 verschont wurde, in der Hedwigs Sohn, Herzog Heinrich II. der Fromme, fiel - später entstand an dieser Stelle das Kloster Wahlstatt -, konnte diese Entwicklung nur vorübergehend unterbrechen. Um 1300 war die friedliche deutsche Besiedlung Schlesiens vollendet. Die Piastenfürsten begaben sich in böhmische Lehnshoheit, und im Vertrag von Trentschin 1335 verzichtete König Kasimir III. von Polen auf "ewige" Zeiten staatsrechtlich auf Schlesien, das damit zugleich auch Glied des Deutschen Reiches wurde. Dieser polnische Verzicht auf Schlesien hat, mehrfach bekräftigt, bis zum 20.Jahrhundert gegolten. Schlesien blieb dann dem böhmischen Königreich einverleibt, mit dem es 1526 den österreichischen Habsburgern zufiel, um schließlich nach den drei schweren Kriegen um den Besitz des kostbaren Landes zwischen Maria Theresia und Friedrich d. Gr. (1740 bis 1742, 1744/45 und 1756 und 1763) auf Grund von Erbansprüchen des Hauses Hohenzollern auf die ehemaligen Herzogtümer von Liegnitz, Brieg und Wohlau eine preußische Provinz zu werden.

Wer je durch Schlesien wanderte, den überraschte die Vielgestalt der verschiedensten Landschaften, die der Wanderer dennoch in ihrem großen Dreiklang von Gebirge, Ebene und Hügelland als eine beglückende Harmonie in sich aufnahm.

Als eine eigenartige, fruchtbare Landschaft für sich zieht sich die Talmulde des Oderstromes in bedeutender Breite von Südosten nach Nordwesten quer durch das ganze Land, das mit seinem 34.781 qkm (im Jahre 1939) - 1914 waren es noch rund 40.000 qkm -, wie jede Karte klar zeigt, noch zum Kernraum Mitteleuropas gehört (Breslau z.B. ist von Charkow im Osten soweit entfernt wie Portsmouth im Westen).

In dem aus der Oderniederung sanft gegen Westen ansteigenden Land erheben sich unvermittelt unzählige kleine Berge vulkanischen Ursprungs: die Landeskrone bei Görlitz, der Gröditzberg, der Zobten, alle jene vom Volksmund "Striezel und Quärge" getauften Kegel und Kuppen um Striegau, Strehlen, Jauer, Goldberg und Lauban, dem Gebirge der Sudeten vorgelagert, das sich dem Blick des Wanderers in überraschendem Wechsel von lieblichen Tälern und anmutigen Kuppen als eine Stufenlandschaft öffnet, bevor er den mächtigen, flachgewölbten Bergrücken des Riesengebirges, den "Kamm", erreicht. Hier, in den Sudeten, mit ihren steilen, schroffen Felswänden, den dazwischen tief eingeschnittenen Längstälern, mit den aus eiszeitlicher Vergletscherung stammenden "Schneegruben" und "Teichen" und mit ihrer "subalpinen" Flora, erschließt sich dem Wanderer eine auf kaum mehr als 50 km Länge zusammengedrängte Fülle verschiedenartiger Gebirgsformen, die sich mit der Schneekoppe, dem Brunnberg und dem Hohen Rad bis zu einer rein alpinen Region erheben und im Isergebirge in stundentiefe, verwunschene Hochwälder auslaufen.

Ein völlig anderes Landschaftsbild offenbart der fast rechteckige Gebirgskessel der Grafschaft Glatz, dessen Randgebirge mit ihren zerklüftet auf breiten Sockeln inselartig aus der Ebene aufsteigenden Tafelbergformen der Heuscheuer und ihren herausgewitterten merkwürdigen Felsgestalten an das Elbsandsteingebirge erinnern. Vom bis zu 1500 m hohen Altvatergebirge fallen die Sudeten schließlich sanft in das Mährische Gesenke ab und verlieren sich in den Hügeln des schon jenseits der alten Reichsgrenze liegenden Kuhländchens im Quellgebiet der Oder.

Zur Zeit der Illyrer und Wandalen war Schlesien noch ein Land voll undurchdringlicher Wälder, nach Süden hin begrenzt durch seinen Gebirgswall aus urzeitlichem Granit, mit fruchtbarem Boden zu beiden Seites des Stromes mit seinen vielen Nebenflüssen, aber auch mit Mooren, Sand- und Steppengebieten und mit unermesslichen Schätzen an Erzen und Kohlen in seinen noch unerschlossenen Tiefen.

In der kurzen Zeit von weniger als anderthalb Jahrhunderten lichteten deutsche Äxte die undurchdringlichen Wälder der Sudeten und ihres Vorlandes. So entstanden aberhunderte langgestreckte Rodungssiedlungen, die für das deutsche Schlesien so kennzeichnenden sogenannten Waldhufendörfer, und in der offenen Ebene über 120 betriebsame, nach deutschem Recht gegründete Städte. Bald überzogen auch zahlreiche Klöster die Landschaft, deren eigentliche Bedeutung, von ihrem kirchlichen und religiösen Wirken abgesehen, darin lag, daß ihre Wirtschaftsbetriebe als Musterwirtschaften für Ackerbau, Viehzucht, Obst- und Forstwirtschaft wirkten - sie waren gleichsam die Landwirtschaftsschulen für die deutschen Ansiedler. Die wichtigsten ersten Klostergründungen waren Leubus (1163), Heinrichau (1226), Czarnowanz bei Oppeln (1228), Kamenz (1248), Rauden (1252), Himmelwitz (1280) und Grüssau (1292).

In der beginnenden Neuzeit wurden weitere Rodungsvorstöße ins Waldland unternommen, Glashütten und Eisenhämmer fraßen sich in die Wälder. Als der Nahrungsraum bäuerlicher Wirtschaft für die wachsende Zahl der Menschen nicht mehr ausreichte, schufen sich die Überzähligen in harter und zäher Arbeit neue Existenzmöglichkeiten auf natürlichen Grundlagen. In den Bergwäldern erschlossen sie sich Granit- und Sandsteinbrüche, die kräftigen Gebirgsbäche trieben zahlreiche Glasschleifereien, in den langgezogenen Vorgebirgsdörfern entstanden aus gediegenem handwerklichem Können zahlreiche Handwebereien, aus denen später im Zuge der maschinellen Entwicklung volkreiche Fabrikorte (wie Langenbielau oder Wüstegiersdorf) wurden, deren Textilgewerbe Weltruf gewann.

Um die Wende des 19.Jahrhunderts ging man in den bis dahin fast unberührt gebliebenen Waldgebieten Oberschlesiens an die Erschließung der reichen Steinkohlen- und Erzvorkommen, und es entstand in wenigen Jahrzehnten jene eindrucksvolle Industrielandschaft mit Großstädten auf engstem Raum mit rund 1 Millionen Menschen, mit Kohlengruben, Kokereien, Eisen-, Blei- und Zinkhütten, Stahl- und chemischen Werken, die wohl als augenfälligste deutsche Leistung Schlesiens gelten kann. Daneben wurden in der Lausitz Braunkohlevorkommen in gewaltigem Tagebau erschlossen, während sich im Gebiet der niederschlesischen Steinkohleflöze, im Waldenburger Bergland, eine weitere geschlossene Industrielandschaft mit Fördertürmen, modernen Kokereien, chemischen Werken, Maschinen- und Porzellanfabriken herausbildete.

Aus der Dynamik der schlesischen Landschaft erwuchs schließlich auch jenes andere große Kulturwerk des Hochwasserschutzes, das ihrem Bilde neue Züge einfügte, die Staubecken von Ottmachau und Turawa zum Ausbau der Oder als einem der leistungsfähigsten, bis an das Tor des oberschlesischen Industriegebietes reichenden deutschen Binnenschaifffahrtswege, und die großen Talsperren mit ihren Stauseen, um die Stoßkraft der aus den Bergen kommenden Wildflüsse Bober, Queis und Weistritz zu brechen.

Die Schlesier vollbrachten aber auch noch eine stammesmäßige schöpferische Leistung, in der sich die ungewöhnliche Tatkraft dieses deutschen Neustammes in großartiger Weise offenbart. In Anpassung an die besondere landschaftliche Struktur ihres Siedlungsraumes entwickelten sie diesen durch ihre baukünstlerische Tätigkeit vom Mittelalter bis zur Gegenwart zu einer eigentümlich schlesischen "Kunstlandschaft" von höchstem Range. Nach einer durch den Mongolensturm jäh unterbrochenen, zumeist noch romanisch bestimmt gewesenen Baukunstentwicklung begann ab 1241 die Blütezeit einer eigentlichen schlesischen Früh- und Spätgotik, für die eine Vielzahl kirchlicher und profaner Bauwerke noch heute zeugen: die bewunderungswürdigen Kloster- und Stiftskirchen der Zisterzienser und Dominikaner, der Dom zu Breslau, viele Basiliken, bedeutende Pfarrkirchbauten in fast allen größeren schlesischen Städten und, darunter das Breslauer Rathaus, diese Perle der schlesischen Gotik, zahlreiche Rathäuser und Schlösser. Mit dem Wallensteinschloß in Sagan hebt eine Reihe von italienisch-böhmischen Schloßbauten der Barockepoche an, in der auch die großen Gebäudekomplexe der Klöster Heinrichau, Rauden, Leubus und Himmelwitz barockisiert wurden. In wenigen Jahrzehnten wurde Schlesien so zur üppigsten Barockprovinz des deutschen Ostens.

Mit der preußischen Zeit nach 1741 begann auch für Schlesien der Übergang in neue Stilformen: Rokoko, Romantik und Klassizismus (unter den berühmten Architekten Langhans und Schinkel), bis dann im 19. und 20.Jahrhundert die baukünstlerische Entwicklung zu modernen Zweckbauten führte, unter denen hier nur die Breslauer Jahrhunderthalle (von Berg), eine der frühesten Kuppelgroßbauten in Deutschland, mit den Ausstellungsgebäuden und der Pergola (von Poelzig) sowie das imposante Sportfeld (von Richard Konwiarz) genannt seien. Maler, Bildhauer und Architekten von hohem, im In- und Ausland anerkannten Rang wirkten an der Breslauer Kunstakademie, die der modernen Kunst in Deutschland neue Wege wiesen - ein Beweis mehr für die ununterbrochene Einheit des schlesischen Stammes mit dem deutschen Mutterland.

Der Vielfältigkeit der schlesischen Landschaft, von der Hermann Stehr so kennzeichnend sagte, daß sie ausgezeichnet sei "durch Größe ohne Ausschreitung, inniges Wesen ohne Süßlichkeit, Ernst ohne Hörte und Tiefe ohne Düsterkeit", entspricht die Wesensvielfältigkeit des schlesischen Menschen. Seine zähe, fast kindliche Liebe zur Scholle, seine schmerzliche Sehnsucht nach der Heimat: "Suste nischt ok heem" (Holtei), die ihn in der Fremde übermannt, verträgt sich fast widerspruchslos mit einem unruhevollen und ungemein verwandlungsfähigen Inneren. Daher rühren auch seine starken künstlerischen, dichterischen, malerischen, aber auch denkerische Talente, durch die Schlesien u.a. zu einem Lande der Gottsucher und Dichter wurde. Von dem Poeten Martin Opitz und dem einsamen Grübler Jakob Böhme zu Beginn des 17.Jahrhunderts an über Angelus Silesius, Daniel von Czepko, Abraham von Frankenberg, Andreas Gryphius, Friedrich von Logau, Johann Christian Günther, Schleiermacher, Eichendorff, Moritz Graf von Strachwitz und Gustav Freytag bis zu Gerhart Hauptmann, Carl Hauptmann und Hermann Steht, in deren Schaffen sich Schlesiens Dichtung erfüllte, leuchtete drei Jahrhunderte lang der so eigentümlich aus Glaube und Dichtung gespeiste Genius, wahrhaft ein "Mysterium magnum", über diesem Lande und weit in die Welt. Wenn Hermann Stehr einmal davon spricht, daß es "ein tieferes Besitzrecht eines Volkes auf ein Land gibt als jenes aus dem Zwange der Staatsmechanismen und Gewalttätigkeiten" und damit das große kulturelle Lebensgut des deutschen Ostmarkenstammes meinte, das es als Vermächtnis zu hüten gilt, so haben die deutschen Gottsucher, Dichter und Künstler schlesischen Geblüts für dieses tiefere Besitzrecht auf Schlesien ihren vollen Beitrag geleistet.

 

(entnommen aus "Schlesien - 48 Bilder - Text von Wilhelm Meridies"; ohne Jahresangabe, doch im Weltnetz auf 1960 datiert)

 

 

 

 

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