
...herrlich ist dies Stückchen Erde, und ich bin ja dort daheim!
Judith
13.01.2015 19:17Judith war die liebreizende Tochter des Markgrafen Hezilo von Schweinfurt, eine Enkelin der frommen Heila. Sie war von ihrer Mutter für das Kloster bestimmt worden, aber das Schicksal wollte es anders mit ihr. Zu Bracislaus, dem Herzog von Böhmen, drang die Kunde von der großen Schönheit und der reinen Tugend Judiths. Sogleich entbrannte sein jugendliches Herz in heißer Liebe zu der Schweinfurter Prinzessin. Aber Bracislaus kannte die Abneigung, und so mußte er fürchten, als bittender Freiersmann von dem stolzen Vater seiner Geliebten abgewiesen zu werden. Deshalb entschloß er sich, seine Braut heimlich zu entführen.
Mit wenigen getreuen Dienern machte er sich auf den Weg nach Schweinfurt. Keinem sagte er jedoch, was er vorhatte. Rastlos eilte er von Ort zu Ort, bis er an einem Abend Schweinfurt erreicht hatte. Arglos gewährte man ihm das begehrte Nachtlager im Vorhof des Klosters. Niemand erkannte ihn als einen Fürsten, und seinen Knechten hatte er streng verboten, etwas von seinem vornehmen Stand verlauten zu lassen. "Dem Wolf gleich, wie er um die Hürde der harmlosen Lämmer schleicht", umschritt der Prinz das stille Kloster und spähte nach einer Gelegenheit, in dasselbe zu gelangen. Da kam ihm sein Glück zu Hilfe: Er war gerade am Vorabend eines Feiertages gekommen. Da mußte die Ersehnte mit einigen anderen Nonnen ihre Klosterzelle verlasen und in der Kirche zur Vesper läuten. Zu diesem Zweck mußten die Klosterfrauen über den Vorhof des Klosters gehen. Als nun der hier lauernde Bracislaus die wunderschöne Judith sah, war sein Entschluß schnell gefaßt. Rasch umfaßte er die Ahnungslose, schwang sich mit ihr auf sein noch bereitstehendes Pferd und enteilte "wie der Wolf mit dem geraubten Lamm" dem Kloster. Die Pforte desselben war mit einem vorgezogenen, starken Mühlseil verwahrt. Mit einem kräftigen Degenhieb bahnte sich der Prinz den Ausgang und entkam mit seinem Raub glücklich im Dunkel der Nacht.
Die Klosterschwestern waren zuerst wie gelähmt vor Schrecken und flohen wie verscheuchte Hühner in alle Ecken des Hauses. Dann aber schrien sie laut um Hilfe, und bald war das sonst so stille Kloster von Lärm und Geschrei erfüllt. Rasch wurden Pferde gesattelt, um dem frechen Räuber seinen Raub abzujagen, aber es war vergeblich. Nun rächte man sich an den unschuldigen Dienern des Herzogs, welche arglos im Klosterhof zurückgeblieben waren. Es wurden ihnen Nasen und Ohren abgeschnitten.
So war die Schweinfurter Prinzessin Herzogin von Böhmen geworden. Nach dem Tod ihres Gemahls heiratete sie den König Peter von Ungarn und starb im Jahre 1058. In Prag, der Hauptstadt von Böhmen, liegt sie begraben. Ihre Entführung erfolgte am 07.Juli 1021.
Die Erzählung vom Raub der Markgrafentochter ist eine Sage; dagegen ist es wahr, daß sie den Herzog von Böhmen und später den König von Ungarn geheiratet hat. Eine weitere Sage schließt sich an dieses Ereignis an. Bei der Entführung soll Judith einen roten Schuh verloren haben. Dieser sei im Hof gefunden und durch Eilboten zum Kaiser Heinrich mit der Kunde von der Entführung geschickt worden. Unterwegs sei aber der Schuh dem Boten plötzlich entschwunden. Das habe man damals als ein Gottesurteil angesehen, daß die Ehe des Bracislaus mit der Judith gottgefällig sei.
Zum Andenken an diesen Brautraub ließ Karl Sattler über der Brunnenstube am Peterstirnberg einen steinernen Schuh mit dem Datum der Entführung anbringen.
(entnommen von "Alt-Schweinfurt in Bildern, Sitten und Sagen", Hubert Gutermann, 1991)
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