...herrlich ist dies Stückchen Erde, und ich bin ja dort daheim!


Die Sage vom Hirschgulden

25.01.2014 17:08

Graf Eberhard der Milde von Württemberg brachte unter anderem auch Balingen nebst einigen in der Nähe liegenden Ortschaften und Burgen in seinen Besitz, indem er sie vom Grafen Friedrich von Zollern kaufte. Eine Sage berichtet uns darüber folgendes:

Vor langen Zeiten standen auf dem Hirschberg bei Balingen und dem benachbarten Schalksberg schöne Burgen wie auf dem Zollern. Die drei Berge und die Burgen gehörten drei Brüdern. Das Schloß auf dem Hirschberg war das schönste, und der Bruder, der dort hauste, war der reichste; dem gehörte auch Balingen. Der fiel in eine tödliche Krankheit; und weil seinen Brüdern das schöne Erbe mehr am Herzen lag als der kranke Bruder, so konnten sie es kaum erwarten, bis er verschieden war. Als es hieß, er sei gestorben, verbargen sie ihr Vergnügen nicht, sondern taten Freudenschüsse von ihren Burgen herab. Die hörte der Todkranke, und als er nun die Ursache vernahm, da fiel er vor Ärger über diese Lieblosigkeit in einen Schweiß, der ihn vom Tod errettete. Als er aber genesen war, da beschloß er, den ungetreuen Brüdern das schöne Erbe nicht zukommen zu laßen. Er verkaufte also seinen Berg samt Haus und Hof und der Stadt Balingen, auf den Fall seines Todes, an Württemberg um einen elenden Hirschgulden und mit der Bedingung, daß der Verkauf geheimgehalten werden solle, solange er lebe.

Er lebte nun noch lange Zeit fröhlich und getrost auf seinem Berge. Die Brüder aber ritten ihm zu Hofe und taten ihm freundlich; denn er war der älteste und hatte kein Weib und keine Kinder, so hofften sie ihn dennoch zu beerben. Als er endlich gestorben war und sie auf die Burg eilten, das Erbe in Empfang zu nehmen, mit Worten wehklagten und im Herzen fröhlich waren, da kamen auch die Abgesandten des Grafen von Württemberg, brachten den Hirschgulden als Kaufgeld und zeigten die Verkaufsurkunde vor mit des Ritters Siegel und Unterschrift. So erfuhren sie den Kauf, fluchten und tobten, aber vergebens; der Berg gehörte Württemberg, und sie mußten abziehen.

Am andern Tag kam der von Zollern zu dem auf der Schalksburg und sprach: "Ich habe schlecht geschlafen, Bruder." "Ich auch", sagte der andere, "es ist mir in den Magen gefahren." "Laß uns den Hirschgulden vertrinken", sprach der Zoller, "so wird's uns besser werden, wenn das Erbe draußen ist." So gingen sie nach Balingen und zechten im Wirtshaus. Als nun die Zeit kam, da sie zahlen sollten, da warfen sie den Hirschgulden auf den Tisch. Der Wirt aber schüttelte den Kopf und sprach: "Sie sind abgeschätzt und gelten nichts mehr; heute früh hat's ein Bote von Stuttgart gebracht in des Grafen Namen, meines neuen Herrn." So zogen sie ab und hatten anstatt des Erbes einen Gulden Schulden.

 

(nach Gustav Schwab -

entnommen aus dem "Lesebuch für die evangelischen Volksschulen Württembergs - Zweiter Teil", 1920)

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