...herrlich ist dies Stückchen Erde, und ich bin ja dort daheim!


Der Trauring

19.03.2014 08:46

Über dem Dorfe Neundorf bei Greiffenberg, unweit der malerischen Talsperren von Goldentraum und Marklissa gelegen, dem Kreise Löwenberg zugehörig, erhebt sich der Kapellenberg. Seit dem Jahre 1657 krönt seine kahle Basaltkuppe die St.-Leopoldskapelle, ein kleiner Rundbau mit Kuppeldach, in dem jährlich einmal am Leopoldstag eine heilige Messe stattfindet, gehalten vom Greiffenberger Stadtpfarrer. Früher hieß die dem Greiffenstein gegenüberliegende Hügelkuppe, die sich sanft in die Vorgebirgslandschaft der Sudetenberge einschmiegt, der Rabenberg. Der Kapellenbau führte dann zur Namensänderung. Warum indessen das Kirchlein auf der luftigen Höhe erbaut worden ist, hängt mit einer recht wundersamen Geschichte zusammen, die sich der Volksmund erzählt:

An einem schönen Sommertage des Jahres 1656 führte der Graf Christoph Leopold von Schaffgotsch seine junge Gemahlin, die ihm erst vor wenigen Wochen angetraut worden, auf diesen Berg. Die wundervolle Rundsicht zum Gebirge hin und in das weite Tal sollte der jungen Frau den reichen Besitz ihres Gatten vor Augen führen und sie mit Stolz erfüllen. Das junge gräfliche Paar verweilte lange und glücklich auf dem Berge.

Als die Eheleute nach der Burg Greiffenberg, dem Stammsitz derer von Schaffgotsch, zurückkehren wollten, vermißte der Graf seinen Trauring. Alles eifrige Suchen blieb vergeblich. Besonders die Gräfin war durch den Verlust tief betrübt. Ihr Kummer wurde noch größer, als die "alte Hanne", eine Wahrsagerin aus dem Dorf, erklärte: Wenn der Ring nicht mehr wiedergefunden wird, muß das Geschlecht derer von Schaffgotsch bald aussterben und vergehen.

Ein Jahr war vergangen, da weilte das Grafenpaar wieder auf dem Rabenberg. Immer noch hofften die Eheleute, den Ring vielleicht doch im Grase oder zwischen den Kräutern und Bergblumen wiederzufinden. Man hatte einen großen bunten Teppich ausgebreitet und sich darauf niedergelassen, um einen Imbiss einzunehmen. Da huschte ein graues Mäuslein vorüber und sah die beiden mit seinen kleinen hellen und klugen Äuglein an. Ein Diener, der die Maus ebenfalls beobachtete, sprang sofort hinzu, griff mit geschickter Hand das ängstliche Tier und wollte es töten. Aber die Gräfin, die Mitleid mit der verängstigten Kreatur empfand, sprach: "Tötet es nicht, sondern laßt das Tierchen laufen. Wer weiß, ob es uns nicht doch noch Glück bringt!"

Der Diener setzte gehorsam die Maus in das strähnige Gras zurück. Da richtete sich das Mäuslein dankbar auf und verschwand schnell zwischen Blumen und Wurzeln. Das Tierchen sehen wir nicht wieder, dachte der Graf bei sich und sah sinnend in das Land hinaus. Zwischen den Wiesen und Feldern, Hecken und Wäldern glänzten die roten und blauen Dächer der Dörfer und Gehöfte in der Sommersonne. Man hatte das Mahl noch nicht beendet, siehe, da erschien das graue Mäuslein wieder und brachte in seinem Mäulchen den verlorenen Trauring herbei. Das Tierchen legte ihn vor der aufs höchste erstaunten und erfreuten Gräfin nieder, dann verschwand es sogleich wieder im Grase. Auf dem roten und blauen Teppich schimmerte der schmerzlich vermisste goldene Ring des Grafen.

Dankbaren Herzens erbaute Graf Leopold an diesem Ort, da dieses offensichtliche Wunder geschah, eine Kapelle, die er seinem Schutz- und Namenspatron, dem heiligen Leopold, weihen ließ.

Immer noch schaut die fromme Kapelle weit in das schlesische Land hinaus, hinüber zu den Sudetenbergen. Aber gegenüber das Schloß des Geschlechtes der Reichsgrafen von Schaffgotsch ist lange verfallen.

 

(entnommen aus "Die schönsten Sagen aus Schlesien - Neu erzählt für jung und alt von Jochen Hoffbauer", 1965, 2.Auflage)

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