
...herrlich ist dies Stückchen Erde, und ich bin ja dort daheim!
Das Hundebegräbnis
23.04.2014 17:20Schlösser, Dominien, Herrenhäuser und Freisitze waren in Schlesien keine Seltenheit. Überall auf dem flachen Lande, inmitten in den Dörfern oder zwischen Wiesen und Wäldern, fanden sich derlei prächtige, den Wohlstand des Landes bezeugende Bauwerke und Anlagen. Das Herrenhaus zu Deutsch-Wette bei Neisse stellte keine Ausnahme dar.
Die Besitzer des reichen Hauses hatten einst einen Hund, den sie über alles liebten und verhätschelten. Nun ist Tierliebe zwar durchaus üblich und lobenswert. Wenn aber jemand - wie hier - seinem Hund mehr Liebe erzeigt als seinen Mitmenschen, die seiner Hilfe bedürfen, so versündigt er sich gegen Gottes Ordnung. Das war damals so wie heute. Als der Hund zu Deutsch-Wette schließlich starb, verfiel die gesamte Gutsherrschaft in übermäßige Trauer. Um ihrer besonderen Verehrung für den toten Hund Ausdruck zu geben, sollte nun dem Tier ein Begräbnis ausgerichtet werden, als gälte es, ein liebes Menschenkind zu Grabe zu tragen.
Nahe bei dem Dorfe stand auf der bewaldeten Höhe ein Kloster, das der heiligen Katharina geweiht war. Wie damals zumal üblich, waren die Edelleute mit der Geistlichkeit gut befreundet. Der Gutsherr stellte daher an die geistlichen Herren das Ansinnen, bei dem Begräbnis des Hundes mit allen Klosterglocken zu läuten. Und aus falsch verstandener Freundschaft wurde dieser frevelhaften Bitte sogar stattgegeben.
Der Begräbnistag kam heran. Am Nachmittag bewegte sich ein feierlicher Zug nach der Klosterkirche. Am Rande des Gottesackers sollte der Hund begraben werden. Auf einer Bahre trugen Diener den blumengeschmückten Sarg. Dahinter schritt die Gutsherrschaft in tiefer Trauer. Man konnte glauben, den Eltern sei das liebste Kind gestorben. Das Gesinde des Hofes und die Bediensteten des Hauses mußten Gefolgschaft leisten. Viele Dorfbewohner liefen aus Neugierde mit. Es gab daher auch natürlich und gerecht denkende Menschen, die solcherlei Treiben verabscheuten. Andere standen mit finsterer Miene am Wege und verwünschten das ruchlose Gebaren der reichen Gutsherrschaft.
Als der Trauerzug den Fuß des Hügels erreichte, begann zuerst die kleinste Glocke zu läuten, eine zweite fiel ein, und jetzt fing wahrhaftig auch die große Glocke zu schwingen an, die sonst nur bei würdigen, feierlichen Anlässen ihre erzene Stimme erschallen ließ. Der ernste, volle Ton klang gewaltig über die Felder. Es war, als ob die geweihte Glocke mit ihrer unüberhörbaren Stimme die Menschen warnen wollte, den gottlosen Frevel zu vollenden. Aber wie das bei den Erdenbürgern zu allen Zeiten und in allen Landen ist: Niemand verstand die Mahnung der großen Glocke. Keiner kehrte betroffen um.
Noch waren aber die wuchtigen Töne der großen Glocke nicht verhallt, da erscholl ein furchtbarer Donnerschlag. Die Erde spaltete sich und verschlang Kloster, Kirche, Gottesacker und Leichenzug. Den Hügel, der einst das Kloster trug, nennen die Dorfbewohner jetzt den Katternberg, den Katharinenberg. Es ist keine Spur mehr von dem versunkenen Kloster zu sehen.
Einst wühlte eine Sau mit ihrem Rüssel ein Loch in die Erde. Dabei kam die kleinste Glocke des Geläutes zum Vorschein. Sie wurde im Glockenturm eines benachbarten Dorfes aufgehängt. Die mittlere Glocke soll später im Bielefluß gefunden und in die Kirche zu Wette gebracht worden sein.
Die große Glocke jedoch liegt noch tief in der Erde verborgen. Wer sein Ohr auf die Bergwiese presst und ein Sonntagskind ist, der kann auch heute noch ihren warnenden Klang vor Unglückszeiten und Naturkatastrophen vernehmen.
(entnommen aus "Die schönsten Sagen aus Schlesien - Neu erzählt für jung und alt von Jochen Hoffbauer", 2.Auflage, 1965)
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